Von Schafen im Wolfspelz


Man begegnet ihnen regelmäßig: den Hunden, die sich vor allem zu Beginn ziemlich aggressiv geben, also quasi einen "Wolfspelz" übergestreift haben. Im Laufe der Zeit stellen sich viele jedoch entgegen der ersten Einschätzung als "Schäfchen" heraus. Man sollte also nicht zu schnell urteilen und einen Hund als bösartig abstempeln. Oftmals verhält er sich nur zum Eigenschutz ruppig.
Nanno war genau so ein Fall. Er wurde im Haus statt in einem der Zwingerabteile einquartiert. Diese Vorzugsbehandlung dankte er den Zweibeinern allerdings nicht besonders. Wenn er mal wieder eine Tür blockierte, weil er sich direkt davor zum Schlafen hingelegt hatte, dann konnte es schon passieren, dass er einen ins Bein zwickte, wenn man über ihn hinwegsteigen wollte.
Auch sämtliche Versuche, ihm etwas Fressbares abzunehmen, quittierte er mit unziemlichem Verhalten. Man musste schon schnell reagieren, wenn man seine Hände in Sicherheit bringen wollte. Nun würde der unvoreingenommene Leser wahrscheinlich sagen, dass man Hunde beim Fressen auch nicht stören sollte. Das Problem war nur, dass Nanno einige Pfunde zu viel auf den Rippen hatte und eigentlich zu seinem eigenen Vorteil hätte eingeschränkt werden sollen.

Im Übrigen war auch das Streicheln (ohne jegliche Futterbeteiligung!) riskant. Erst drückte er sich an einen und forderte so förmlich zum Schmusen auf, doch dann überlegte er es sich plötzlich anders und schnappte.
Mit derartigen Allüren hätte Nanno keinerlei Chance auf eine Vermittlung gehabt. Die Pflegestelle in Deutschland nahm die Herausforderung trotzdem an, und siehe da: Nanno wandelte sich innerhalb einiger Wochen zu einem durchweg umgänglichen Vierbeiner. Nach dieser Metamorphose gelang es dann schließlich auch, ein gutes Zuhause für ihn zu finden und sein Problemverhalten hat er endgültig abgelegt.
Ein verhaltensmäßig noch schwereres Kaliber als Nanno war Juca. Wir hätten schon misstrauisch werden müssen, als wir ihn allein in einem kleinen Abteil antrafen. Das gibt es in Portugal so gut wie nie, denn ständig ist der Platz knapp und unter diesen Umständen ist eine Einzelbelegung natürlich ein unerhörter Luxus.
Juca stach uns wegen seiner ausgefallenen "Frisur" sofort ins Auge. Sein krauses Fell stand ihm auf dem Kopf zu Berge wie einem Punker; der Rest des Körpers war getrimmt. Lustig sah er ja aus, aber er fand es seinerseits gar nicht amüsant, dass ein fremder Zweibeiner sich in seinen Zwinger wagte. Kaum öffneten wir die Tür, fing er auch schon drohend an zu knurren.
Mannomann, mit dem war wirklich nicht gut Kirschen essen. Er versuchte beim Näherkommen gleich zu beißen. Sein Pech war nur, dass diese komische fremde Frau die Attacke geahnt hatte und sie abblocken konnte. Und dann traute sich diese unverschämte Zweibeinerin doch tatsächlich, ihn anzufassen! Vorsichtig zwar, aber ohne den geringsten Zweifel, dass sich beim direkten Kräftevergleich Juca würde unterwerfen müssen.

Später erfuhren wir, dass Juca ein Abgabetier aus einem Privathaushalt war. Es ist anzunehmen, dass er es in seinem Zuhause gut gehabt hatte und dass sein Verhalten im Tierheim schlichtweg Ausdruck seiner Unsicherheit und Überforderung war. Jedenfalls hat er einige Wochen später in Deutschland keine solchen Unarten mehr an den Tag gelegt.
Die erste Begegnung mit Rasputin hätte beinahe blutig geendet. Wohlgemerkt war unsere Unversehrtheit in Gefahr, nicht die von Rasputin. Er lebte inmitten eines Rudels von Hunden, die genau die richtige Größe für eine Vermittlung in Deutschland hatten. Manche dieser Vierbeiner waren etwas scheu, doch die meisten freuten sich richtig über Ansprache von uns und genossen auch die Streicheleinheiten.
Als die Reihe jedoch an Rasputin kam, erlebten wir unser blaues Wunder. Er hatte überhaupt nicht vor, sich von irgendwem berühren zu lassen, und schon gar nicht von Fremden! Seine Zähne verfehlten nur knapp ihr Ziel.

Genutzt hat es ihm nichts. Er wurde trotzdem für eine Ausreise ausgewählt. Bis es allerdings so weit war, vergingen noch etliche Wochen. Schon allein das vorherige Entwurmen war abenteuerlich, denn man kam unmöglich auf Körpernähe an ihn heran. Also wurde die Tablette in Dosenfutter gesteckt und ihm diese äußerst behutsam und mit größtmöglichem Sicherheitsabstand auf einem Löffel angeboten. Nach kurzer Bedenkzeit fraß er sie tatsächlich.
Der Durchbruch kam, als er von der großen Hundegruppe in eine kleinere verlegt wurde. Von einer Minute zur anderen wurde aus dem unnahbaren Rasputin ein Schmuser vor dem Herrn, der schnellstmöglich den menschlichen Schoß erklomm und keinerlei Anstalten mehr machte zu schnappen. Seine positive Entwicklung hat ihm in Deutschland mittlerweile zu einem neuen Zuhause verholfen.